
»Du trinkst deinen Kaffee ohne Milch und Zucker, wenn ich mich richtig erinnere« ist der erste Satz, den ich höre, als ich die schwere Glastüre im 2. Stock aufstosse. Ich schüttle verwundert den Kopf, bin mit meinen Gedanken irgendwo auf 20’000 Metern Höhe, Wolke 37, und muss jetzt zuerst mal im Sturzflug zurück auf die Erde finden, um auf diesem dunkelgrauen und schmutzabweisenden Teppich anzukommen.
»Ja, einfach nur Kafi, sonst gar nichts« stammle ich etwas unbeholfen und es gelingt mir grad noch, ein lachen hinterher zu schicken, um wenigsten ein bisschen begeistert zu klingen.
Kaffee ist wohl keine schlechte Idee – und die Ehre, mit dem Schulleiter einen trinken zu können, lasse ich nicht ungenutzt an mir vorüber streichen. Mantel aufhängen, Tasche auf einem dieser absolut unbequemen Barhocker verstauen und einfach warten, bis mir besagtes, dunkelbraun wachhaltendes Getränk serviert wird. Diese Barhocker sind ein Gräuel! Weder schön anzuschaun noch angenehm zum Sitzen. Und doch zieren sie alle möglichen Büros und Aufenthaltsräume – ich verabscheue diese Sitz-Stehgelegenheiten und wünsche mich schleunigst auf ein gemütliches Sofa, in dem ich versinken und weiterträumen kann.
Doch zurück zum Kaffee, der jetzt mit einem fröhlichen kleinen Lächeln aufgetragen wird. Rolf ist ganz wundervoll, es unterhält auf eine leichte, unkomplizierte und humorvolle Art, lässt nie eine dieser peinlichen, stets etwas zu langen, Pausen aufkommen und hat tatsächlich immer etwas zu erzählen. Doch heute sind wir in drei Sätzen auf dem Glatteis. Dünnem Glatteis.
Der erste Satz betrifft die Papstwahl – ja was denn sonst, nach dieser Argentinienwahl! Da kann ich noch interessiert zuhören und zustimmend nicken. Der zweite Satz wird dann schon schwieriger, da die Möglichkeit darin verpackt ist, dass doch eigentlich mal eine Frau auf den Stuhl Petri gehöre – da möchte ich mich schon fast davonschleichen – oh, wie mir diese Frauendiskussionen auf den Geist gehen (…Geist passt hier eigentlich ganz gut, geht mir grad durch den Kopf…)! Doch beim dritten Satz kann ich mich dann nicht mehr fortstehlen, weil mittlerweile noch drei Lehrer dazu gestossen sind (natürlich alles Männer, wie es der Zufall in solchen Fällen immer will – und es ist wirklich ein Zufall, denn es arbeiten sehr viele Lehrerinnen dort) und was ist wohl der nächste Schritt? Ja genau!
Wann haben wir die erste Frau als Präsidentin der USA. Ja, aus einem Grund, der mir bis anhin verborgen bleibt, ist dies ein Thema. Wohl weil die Amerikaner es geschafft haben, einen schwarzen (die politisch korrekte Schreibweise entfällt mir immer wieder, das soll meine Bewunderung für diesen Mann aber nicht schmälern) Präsidenten zu wählen – und jetzt wird der nächste Schritt herbeigesehnt oder herbeigeredet oder herbeigefürchtet (dies ist ja ein Unwort!), eben die erste Präsidentin. Jedenfalls schauen mich jetzt alle vier ganz neugierig an und hätten gerne eine Stellungnahme von mir, einer Frau halt, dazu. Und ich weiss auch, was ich am liebsten täte:
Schreien. Und zwar ganz laut!
Sie sind mir zuwider, diese Diskussionen. Seit wirklich einer ganz ganz ganz langen Zeit. Ich setzte mich vehement dafür ein, als ich 18 Jahre alt war, und 19, und 20 – und so weiter. Als ich dann mit 34 mein erstes wirklich grosses Projekt durchzog und im Konzept dazu nur die weibliche Form benutzte und dies zu sage und schreibe einer viereinhalbstündigen Sitzung führte – da, ja genau da habe ich aufgehört, mit irgend jemandem über die Sache mit den Frauen und den Männern zu diskutieren. Zuerst kam aber noch, dass ich mich ständig wiederholte, von Qualität und Qualifikation redete, von Sozialkompetenz, nicht von Zeugnissen und davon, dass sich jemand für eine Aufgabe eignen sollte. Es ist und war mir egal, ob eine Frau oder ein Mann eine wie auch immer geartete Position besetzt. Ausdrücke wie Testosteron-Banker, Frauenquoten, Besetzungen in der Komfortzone oder Frauenförderung kann ich nicht mehr hören. Wie die Wörter proaktiv oder nachhaltig – die kann ich auch nicht mehr hören, aber das gehört jetzt nicht hierher.
Doch ich sitze im 2. Stock des Englischinstituts mit einem Schulleiter und drei Lehrern an einem winzig kleinen Tisch auf einem unbequemen Barhocker und werde aus vier Augenpaaren erwartungsvoll angestarrt. Eine Antwort bitte, eine Einschätzung, eine Reaktion, einfach irgendetwas, damit die Diskussion weitergehen kann.
Ich sage nichts.
Raffe meinen Mantel zusammen, klemme die Tasche unter meinen linken Arm und balanciere rechts die Tasse. Ein »Danke tausend für den Kaffee und einen schönen Tag für euch alle« strahle ich in die Runde. Drehe mich um und verschwinde ins Sprachlabor. Ich möchte einfach nicht mehr darüber reden. Wirklich nicht. Aber der Kaffe, der hat mir richtig gut getan.