
Sie waren meine Lieblinge, die grossen Katzen. Zwar konnte ich die einen nie richtig von den anderen unterscheiden, doch in Kindesjahren störte mich das nicht. Die schwarzen Panther waren meine Favoriten, weil sie so geheimnisvoll aussehen und wunderschöne gelbe Augen haben. Das gefiel mir. Später lernte ich, dass es auch schwarze Leoparden und schwarze Jaguare gab, was mich restlos verwirrte und ich deshalb eisern bei der Bezeichnung schwarzer Panther blieb. Ich hätte immer gerne einen bei mir zu Hause gehabt und stellte mir jeweils nachts, wenn ich nicht schlafen konnte, vor, er würde neben mir auf dem Bett liegen und er wäre ganz warm und weich und würde mir – natürlich – aufs Wort gehorchen. Ja, ich hatte definitiv eine Vorliebe für schwarze Tiere. Auch Raben hatten es mir angetan – doch das ist eine andere Geschichte.
Aber eben, die getupften oder gesprenkelten Katzen, die konnte ich nie unterscheiden. Welche hatten richtige Tupfen? Welche hatten kreisartig angeordnete Flecken? Da wurde mir der Jaguar der Liebste, denn der hatte von allem etwas und das schien mir das Einfachste zu sein. Ich wurde also Jaguarliebhaberin und tapezierte die Wände des Kinderzimmers mit Jaguarplakaten – dies sehr zum Missfallen meiner Schwester, die mit Katzen, egal welcher Grösse, Musterung und Farbe, gar nichts anfangen konnte. Mein Jaguarzoo wuchs und nach einigen Jahren hatte ich Jaguare in unterschiedlichster Erscheinungsart. Solche aus Stoff, solche aus Fell, gemalte, gezeichnete, gestickte und selbst ein kleine Ton-Jaguar-Figur. Einige haben es bis ins Erwachsenenalter geschafft, etwas ramponiert zwar, doch sie sind immer noch hier und haben nichts an Faszination eingebüsst.
Meine Vorliebe für Jaguare muss prägend gewesen sein, denn ich bin auch ein richtiger Fan von Jaguars, ich meine die Autos. Ob es jetzt von Jaguaren oder von Jaguars heisst, weiss ich nicht – es geht einfach um Autos. Nicht dass ich mir gross etwas aus Autos machen würde. Nein. Zu Beginn kannte ich ja nur den VW Käfer, da meine Eltern einige davon hatten – nicht mit- sondern nacheinander. Sie waren immer blau, was mir sehr gefiel, aber auch völlig unwichtig war. Als ich dann jedoch zum ersten Mal einen Jaguar zu Gesicht bekam, da war es um mich geschehen. Wenn ich ein Auto hätte, würde es ganz sicher ein Jaguar sein, verkündete ich lauthals und wurde deswegen auch wiederholt gehänselt. Einen Jaguar möchtest du? Dann geh erst mal ganz viel Geld verdienen, hörte ich immer wieder. Geld? Geld hatte ich nie viel und so blieb der Jaguar ein kleiner Traum von mir, dessen Erfüllung ich eigentlich nicht wirklich erhoffte. Es war einfach ein schöner Traum, auf hellem Leder zu sitzen, die dunkelgrüne, glänzende Lackierung zu bewundern und zu geniessen, dass ich anstelle eines dröhnenden Motors nur ein leises Schnurren höre. So stelle ich mir das jedenfalls vor.
Und dann geschah das: Als ich letzthin der Strasse entlang lief, etwas abwesend, das muss ich gestehen, erblickte ich auf der Gegenseite eine junge Frau, die ein voluminöses rundes Etwas vor sich her balancierte. Mir war zuerst nicht klar, was sie da vor sich hertrug, bis wir auf gleicher Höhe waren und ich erkannte, dass es wohl ein Kuchen, zugedeckt mit Alufolie, sein müsse, den sie vorsichtig hielt. Sie hob kurz den Kopf, unsere Augen begegneten sich und wir mussten beide etwas lachen, denn ich trug ebenfalls eine heikle Last, nämlich vier Kaffeebecher in einem Karton, der nicht wirklich stabil war. Ständig musste ich das Gleichgewicht der Fracht ausgleichen, was wohl etwas lächerlich ausgesehen haben muss, weshalb wir beide lachten. In meiner Unachtsamkeit trat ich auf die Strasse hinaus, ohne auch nur einen Blick nach links oder rechts zu werfen. Die junge Frau auf der Gegenseite sah mich an und trat ebenfalls weg vom Gehsteig und machte einige Schritte in Richtung Strassenmitte. Ich wollte ihr eben einen schönen Tag wünschen als ich sah, wie sie erschrocken ihre Augen aufriss und jäh stehenblieb. Zeitgleich hörte ich den dumpfen Ton der ertönt, wenn rollende Gummireifen abrupt zum Stehen gebracht werden, begleitet von einem leisen Quietschen. Mir stockte der Atem und ich sah mich hektisch und geschockt um. Das hatte sich nah angehört, zu nah für meinen Geschmack.
Da standen wir nun, sie mit dem Kuchen, ich mit dem Kaffe und um uns herum hatten drei Autos einen Vollstopp hingelegt, um uns nicht zu touchieren – oder Schlimmeres. Ich erwartete wütende Kommentare, hupen oder ungestümes Abdrehen und an uns vorbei sausen, doch es blieb einfach ruhig. Die junge Frau vor mir brach plötzlich in ein prustendes Lachen aus, was mich doch sehr erstaunte. Der Schock, dachte ich und sah zuerst sie und dann endlich erstmals genauer die ganze Situation an. Wir standen inmitten von drei Jaguars. Ein dunkelblauer zu meiner rechten, ein silberner zu ihrer linken und ein – tatsächlich! – dunkelgrüner zu meiner linken Seite. Ich konnte mir ein Lachen auch nicht verkneifen, was dann die Geduld des Fahrers des silbernen Jaguars überstrapazierte. Jedenfalls setzte er seinen Wagen kurz zurück und brauste dann davon. Der Dunkelgrüne schien nur auf dieses Kommando gewartet zu haben und preschte an mir vorbei. Wir zwei Frauen traten den Rückzug auf den Gehsteig an, stellten uns kurz vor und schauten etwas verschämt zum dritten Jaguar, dessen Fahrer an den Randstein gefahren war und die behutsam Tür öffnete. Er steigt aus, nein, nicht noch Diskussionen, schoss es mir durch den Kopf, doch der ältere Herr schien eher amüsiert als zornig zu sein. Er erkundigte sich, ob auch alles in Ordnung sei, wir unterhielten uns kurz und weil ich genügend Kaffe und meine neue Bekannte Kuchen dabei hatte, kam es, dass wir zu Dritt auf der Kühlerhaube des dunkelblauen Jaguars sassen und Kaffe tranken und Kuchen assen. Grosses Kino!