
Es gibt unzählige Gründe für und wider die Farbe Rosarot. Nur schon die Definition der exakten Farbe an sich gibt viel zu reden. Ist es ein zu stechendes Rosarot, sagen wir Pink, ist es zu flau, ist es Altrosa. Es kann zuviel Weiss enthalten und dann wird es zu süss oder es kann zu satt sein und dann verliert es seine Strahlkraft. Rosa wie die Wolken am Abendhimmel, rosa wie ein Flamingo, wobei sich dann sofort die Frage aufdrängt, ob Flamingos überhaupt rosa sind und nicht orange. Das beantwortet jeder Blick in ein Tierlexikon, es gibt tatsächlich verschiedene Arten, die einen sind orange und die anderen – eben – rosa. Die Diskussion zum Unterschied von Rosa und Pink kenne ich aus einigen Kinderzimmern, wo es dann darum geht, dass ein Tütü, eine Barbie, Strumpfis oder ein Stuhl in Pink gewünscht wurde und dann eines jener Dinge in Rosa daherkommt, was natürlich gar nicht geht. Und schon entbrennt wieder ein Wortgefecht darüber, was eigentlich Rosarot ist.
Der Duden hat da seine eigenen Definitionen und deshalb schlage ich auch immer gerne nach. Er ist ja DAS Werk, das einem eine Schreibweise erlaubt oder eben nicht. Was im Duden über Rosarot steht ist folgendes: Adjektiv – von einem ins Rosa spielenden hellen Rot. Es folgen dann die Trennungsregel (ro|sa|rot) und die Anwendung in der Grammatik mit und ohne Beugung und verwandte Bezeichnungen. Und da sind wir dann schon wieder, denn an dritter Stelle kommt bereits Pink. Es stellen sich aber noch diverse andere Möglichkeiten zur Verfügung, zum Beispiel rosafarben, blassrot, fleischfarben, rosafarbig, rosé, rosig, rötlich oder zartrosa, wobei rosafarben und rosafarbig nicht sehr hilfreich sind. Man kann dann auch noch auf die Symbolik der Farben zurückgreifen und findet sich bei Begriffen wie bedingungslose Liebe, Fürsorge, Romantik, Sensibilität, Zurückhaltung, Zuneigung, aber auch verstärktes Schutzbedürfnis wieder. Es gibt rosa Edelsteine, die Zuordnung von Rosa zu neugeborenen Mädchen (und die Jungs bekommen dann hellblau, das hat sich bis heute gehalten), wir können etwas durch eine rosarote Brille sehen, auf rosa Wölkchen schweben oder eine Geschichte in den rosigsten Farben schildern. In der Traumdeutung wird die Farbe als Hinweis auf regressive Sehnsüchte, raffinierte Bedürfnisse und den Wunsch nach oder den Widerstand gegen Leichtigkeit in Liebe und Leidenschaft gedeutet. Die Herkunft liegt vermutlich bei der Farbe der Wildrosen, die Farbenlehre sagt, dass Rosa zu Purpur gehört und die Komplementärfarbe ein frühlingshaftes Grün ist, was mich gleich ganz zuversichtlich stimmt, Frühling. Schön. Das mit der Assoziation zur Weiblichkeit hatten wir schon, doch wird die Farbe auch mit Homosexualität in Verbindung gebracht, wobei dort auch noch Lila als Mischung von Rot und Blau zur Verfügung steht, also Rot für die Frauen und Blau für die Männer. Auch die Sportwelt hat ihren Platz für Rosa geschaffen – der tägliche Gesamterste im Giro d’Italia trägt seit 82 Jahren das Rosa Trikot. Mir ist vor allem die Rosa Schleife vertraut, die als Symbol für die Solidarität mit Brustkrebserkrankten steht. Es gibt auch noch die genaue Farbdefinition in RGB, CMYK oder Pantone, doch am Schluss sind wir immer noch gleich weit, denn es heisst auch: Wenn das Rosa ein bisschen mehr Blau enthält, sagen wir Pink. Und da sind wir wieder. Was ist ein bisschen? Wann ist Rosa Rosa und Pink Pink? Einzig die Engländer haben es da einfacher, die sagen zu den rosa Farbtönen einfach Pink und unterscheiden dann noch zu shocking pink, was wir aber auch kennen und sich uns deshalb die Frage nach dieser Unterscheidung gar nicht stellt. Zu guter Letzt ist Rosa – oder eben Pink – auch in der Justiz bekannt, respektive im Strafvollzug. Es gibt Zellen in Cool-down-Pink, die renitente Häftlinge besänftigen sollen – und das funktioniert tatsächlich. Dort ist alles in einem kräftigen Rosa, also Pink (…und da haben wir es schon wieder) gestrichen, vom Boden über die Einrichtung bis hin zu den Gitterstäben. Die Farbe beruhigt. Sie sagt, ich tu dir nichts. Alles ist in Ordnung. Cool down. Und das tun sie dann auch, die Häftlinge.
Die Zeiten sind also vorbei, wo ich bei Rosa an Puppenhäuser, überzuckerte Torten oder Mädchenträume denke. Doch das wird mich nicht von den Diskussionen mit der kleinen Mathilda bewahren, die eine ganz eigene Vorstellung von Rosa und Pink hat und die ich – leider – bis heute nicht verstanden habe. Ich muss sie das wirklich fragen, jedes Mal, wenn wir neue Haarspängeli, ein Badkleid oder ein Schuletui kaufen: Ist das jetzt Rosarot oder Pink? Was mir natürlich einen vorwurfsvollen Blick, verdrehte Augen und ein «Also ehrlich» einbringt, gefolgt von einer absolut einleuchtenden Erklärung, weshalb das jetzt die eine, resp. andere Farbe ist. Und ich es nicht auseinanderhalten kann. Mein Fehler und ich habe es längst aufgegeben, der Mathildalogik folgen zu können. Ich hab ja sie, die es mir erklärt, immer und immer wieder.
All dies geht mir im Kopf herum und ich muss ein bisschen schmunzeln dabei. Ich stehe nämlich unter einem Blütenmeer aus rosaroten Kirschblüten hoch oben im Norden und bin überwältigt. So viel Rosa, und es ist wirklich Rosa, habe ich noch nie gesehen! Vor mir liegt ein grosser Platz, in dessen Zentrum ein rechteckiges Wasserbecken eingebettet ist. Es ist nicht tief und dient der Optik, nicht der sportlichen Ertüchtigung. Die übrige Fläche ist mit einer unzählbaren Menge von Kirschbäumen bepflanzt, die in voller Blüte stehen. In rosaroter Blüte! Hunderte von Menschen sind auch da, alle in rosa Licht getaucht und das verblüffende an dieser Situation ist, dass es fast still ist. Gedämpft höre ich da und dort einen Satz, gesprochen wird aber nur im Flüsterton. Die Zweige hängen tief, die Blüten duften zart und leicht süsslich und das Blütenmeer schwebt wie eine einzige luftige rosa Wolke über unseren Köpfen. Fotoapparate werden gezückt, Unmengen von Bildern geknipst und ich kann auch nicht widerstehen und versuche, diesen spektakulären Anblick einzufangen. Was mir nicht ganz gelingt. Dennoch – ein Nachmittag in Rosa, hoch im Norden, unvergesslich und wunderschön. Alles in Ordnung, Rosa beruhigt. Mir geht es gut.