Sonne

Discokugel draussen im Gegenlicht mit orangen Sonnenstoren

Gross und rund und strahlend erscheint sie zögernd hinter diesem ewig grauen Schleier – die Sonne. Ich habe schon beinahe vergessen, wie sie ausschaut. Nicht dass ich jetzt eine Abhandlung über das trübe Winterfrühlingswetter schreiben möchte. Es ist einfach so, dass sich die Sonne schon so lange so rar gemacht hat und ich staune und bin entzückt darüber, wie sehr sich die Welt doch verändert, wenn die Sonne scheint. Augenblicklich sind überall Menschen, die Strassencafes sogleich besetzt mit sonnenhungrigen Leuten, die sich vehement wehren, wenn ihnen kurz jemand ins Licht steht. Diese unvermittelte Lebendigkeit, dieses plötzliche Auftauchen von kurzen Röcken, farbigen Blusen und stylischen Sonnenbrillen erinnert mich an ein popup Menu und wie dieser Gedanke aufblitzt wird mir bewusst, dass ich weniger vor dem Bildschirm sitzen und mehr nach draussen gehen sollte.

Also nichts wie raus, in die Wärme, ans Licht, es riecht nach Frühling, es ist ganz wunderbar. Ein schöner Tag, in jeder Hinsicht, denn als ich das Lokal um die Ecke betreten will, steht wie aus dem Nichts ein freundlicher junger Mann bereit, der mir die Tür aufhält und mich auch noch vergnügt anlächelt dabei. Bin ich mich nicht gewohnt und reagiere deshalb wohl eher verdutzt, freue mich aber noch Stunden später über dieses Lächeln. Und weil der Tag eben wirklich ganz toll ist, kommt die gleiche Szene grad nochmals, als ich ins Tram einsteigen möchte. Diesmal lässt mir ein etwas älterer Herr den Vortritt, nicht ohne mir noch einen schönen Tag zu wünschen, so ganz nebenbei. Ich bin schon fast euphorisch.

Fühlt sich gut an, ist mir fürwahr schon lange nicht mehr passiert. Vielleicht liegt es auch schlicht daran, dass ich alt aussehe mit meinen grauen Haaren und die Leute mir deshalb mit soviel Freundlichkeit entgegenbringen. Ist das tatsächlich so? Gehen wir mit älteren Menschen freundlicher um? Ich bin mir da gar nicht so sicher, doch weshalb auch immer, ich geniesse es einfach und grinse vor mich hin.

Das Laufen hat gut getan, die Wärme habe ich eingesogen und die Zermürbtheit über dieses Graugraugrauwetter hängt nur noch an einem dünnen Faden. Es braucht nur einen Nachmittag mit frühlingsversprechender Wärme und sogleich bin ich bereit, diesen Faden zu trennen und mich uneingeschränkt zu freuen. So einfach ist das. Es ist kurz vor halb sechs, als ich das Tram zum zweiten Mal betrete, alle auf dem Heimweg, die Passagiere stehen dicht gedrängt. Diese beengenden Situationen ertrage ich schlecht, doch heute ist die Stimmung, ganz im Gegensatz zu den vergangenen winterlichen Abenden, freundlich und versöhnlich und ich kann trotz diesem Gewimmel gut atmen. Es klingelt ein Telefon, wirklich klingeln, wie die alten analogen Telefone es taten. Offensichtlich ein beliebter Klingelton, denn sicher vier Personen in meiner nächsten Umgebung tasten hastig an ihre Manteltaschen um festzustellen, ob es jetzt ihres ist, das sich da meldet. Bingo, die Frau in der wissen Kapuzenjacke vor mir hat den Joker gezogen und meldet sich laut und deutlich. Das nächste, was wir alle mitanhören, ist zuerst…ja, im Tram, ich kann nicht reden…worauf dann eine ellenlange Diskussion über ihren Gesundheitszustand folgt. Nach dem vierten Satz stöpsle ich meine Ohren mit Kopfhörern zu – ich will diese persönlichen Dinge von irgendjemandem einfach nicht hören. Es nervt mich gewaltig und ich verstehe wieder einmal den Begriff akustische Umweltverschmutzung. Ja, das ist jetzt etwas hart und wir telefonieren alle manchmal in der Öffentlichkeit bla bla bla. Ist mir aber egal, es nervt wirklich. Und scheinbar geht es nicht nur mir so, denn den Gesichtsausdrücken der Mitpassagiere entnehme ich, dass sich alle zunehmend unwohler fühlen und nach der einen oder anderen Möglichkeit suchen, dem Spital-Arzt-esistganzschlimm-völligunerwartet-neinmankannnichtstun-ichbinaberdochzuversichtlich-vielleichtirrensiesichja-esistfurchtbar-Wasserfall zu entrinnen. Es gibt aber kein Entrinnen, wer nach Hause will, hört sich die Leidensgeschichte mit an.

Fünf Stationen später ist das Gespräch zu Ende. Die Frau in Weiss dreht sich tatsächlich um und sagt achselzuckend in die Runde: Ja, also, ich kann nichts dafür, das Telefon hat geklingelt. Verwunderung, hochgezogenen Augenbrauen, Kopfschütteln und überwiegend schallendes Gelächter. Boa, das ist jetzt mal eine Erklärung. Und wieder ist es ein junger Mann, heute ist anscheinend der Tag der Männer, der die Situation total im Griff hat. Er beugt sich vor, tippt der Frau auf die rechte Schulter und sagt in erklärendem Tonfall: Sehen sie, hier oben rechts gibt es eine Taste, ja genau hier, da können sie einfach drauf drücken und dann hört das Telefon auf zu klingeln. Das ist echt praktisch, versichert er ihr noch, lächelt kurz, schnappt sich sein Rollbrett und steigt aus. Tramfahren in Zürich ist einfach toll. Und der schöne Tag ist noch immer ein schöner Tag und als ich das Tram verlasse höre ich noch, wie mir eine Stimme einen wunderbaren Abend wünscht. Grandios, dieser Tag.

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